Keine Leichen im Keller
Keine Leichen im Keller

Barbara Krohn
Keine Leichen im Keller


Jugendbuch
978-3-934983-60-1
370 Seiten, Paperback

20,00 €


Leseprobe:

Amelie Schmid

Das Bild, das mich malte

Sie war wahnsinnig schlecht gelaunt. Sie hatte einen Fleck auf dem Hemd, ihr Haar war durcheinander und der Himmel bewölkt. Ihr Mann war heute wortkarg, ihr Job monoton wie immer, und ihr Chef hatte seinen besonders sexistischen Tag. Außerdem hatten sie und ihr Stiefsohn sich gestritten. Man sollte meinen, an das Alltägliche würde sie sich irgendwann gewöhnen, aber gehasst zu werden, würde sie wohl nie als normal empfinden. Sie war in ihrem Leben immer nur geliebt worden - die beliebteste Schülerin, die hübscheste Studentin und die Sekretärin des Monats war sie gewesen. Die Welt war für sie voll Sonnenschein, voll offener Türen und glänzender Verheißungen. Daran lag es auch, dass sie diesen einen Punkt nicht akzeptieren konnte - den Hass und die Imperfektion dieses Jungen, für dessen Leben sie doch eine Verbesserung hätte sein sollen. Sie wollte ihn doch nur gerade rücken, wollte ihn in den Rahmen der Sauberkeit, Schönheit und Ordnung stecken, der sich in ihrer Kleidung, Frisur und Maniküre widerspiegelte. Das Ergebnis waren Unordnung, Chaos, Zerstörung und Trotz. Und das letzte, was sie wollte, war, vor ihm Schwäche zu zeigen.

Deswegen war sie auch diejenige, die nach unten in den Keller ging. Sie wollte nicht, aber sie hatte keine Wahl: denn noch weniger wollte sie die Verwöhnte sein, die sich die Finger nicht dreckig machen konnte. Also öffnete sie die alte Metalltür mit dem viel zu kalten Griff und steckte den laut klimpernden Schlüssel zurück in ihre Jackentasche, holte tief Luft und stellte sich der Dunkelheit. Sie musste einen Schritt ins Ungewisse machen, in den Geruch nach Alter und Geheimnisvollem. Ihre langen Fingernägel kratzten etwas Putz von der Wand und sie verkniff sich ein Fluchen, aber schließlich fand sie den Lichtschalter, drückte drauf und war so verwirrt von der plötzlichen Helligkeit, dass sie viel zu lange nichts sah.







über Barbara Krohn
Barbara Krohn ist gebürtige Hamburgerin und lebt seit über 20 Jahren mit ihrer Familie in Regensburg. Nach dem Studium der Germanistik und Italianistik unterrichtete sie vier Jahre lang deutsche Sprache und Literatur an der Universität in Neapel. Ihr erster Kriminalroman „Der Tote unter der Piazza“ (1998) wurde ebenso wie „Weg vom Fenster (1999) und der Kurzkrimi „Totentanz in Regensburg“ (2013) für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. „Rosas Rückkehr“ (2002) wurde vom ZDF unter dem Titel „Der Tote am Strand“ verfilmt.

Es folgten Erzählungen, Gedichte sowie die dreibändige Neapelkrimiserie um Commissario Gentilini und die Hamburger Journalistin Sonja Zorn. Mit „Alltagsrettung“ erschien 2010 eine ganz und gar unkriminelle Sammlung von 54 poetischen Texten zum Überleben im Alltag.

Barbara Krohn unterrichtet Kreatives Schreiben für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und ist Herausgeberin der Edition Kreatives Schreiben im KernVerlag. 2002 erhielt sie den Kulturförderpreis der Stadt Regensburg, 2011 ein Arbeitsstipendium des Oberpfälzer Künstlerhauses für das VCCA in Virginia, 2012 wurde ihr für ihr Werk der Kunstpreis für Literatur der REWAG-Kulturstiftung verliehen.

Mehr über Barbara Krohn erfahren Sie auf ihrer informativen Internetseite barbara-krohn.de.